22.05.2018 18:05 Uhr

Kommentar: Droht dem BVB mit Favre der nächste Eiertanz?

Kommentar zur Verpflichtung von Lucien Favre als neuer BVB-Trainer
Kommentar zur Verpflichtung von Lucien Favre als neuer BVB-Trainer

Lucien Favre soll Borussia Dortmund als Trainer zurück zu altem fußballerischen Glanz und einer neuen Identität führen. Während das Fachwissen des Schweizers unbestritten ist, birgt seine Persönlichkeitsstruktur ein großes Risiko für den BVB. Ein Kommentar.

Schon Goethe kannte das Wort Eiertanz. Würde der Dichterfürst heute die zurückliegende Trainersuche von Borussia Dortmund kommentieren, würde er vielleicht genau diesen Begriff benutzen. "Vorsichtiges, gewundenes Verhalten, Taktieren in einer heiklen Situation", beschreibt der Duden den Terminus - wie passend.

Denn eigentlich wussten seit Wochen alle, dass Peter Stöger den BVB verlassen würde. Nur die Verantwortlichen hielten sich bedeckt, kommunizierten teilweise äußerst unglücklich.

Offiziell machten Klub und Coach die Trennung erst nach dem letzten Saisonspiel in Hoffenheim. Dass Lucien Favre den Österreicher bei den Schwarzgelben beerben und damit der dritte Coach auf der BVB-Bank binnen sechs Monaten werden würde, war ebenso ein offenes Geheimnis.

Vollzug meldeten die Dortmunder erst am Dienstag, zwei Tage nach dem letzten Spieltag in Frankreich, an dem Favre mit seinem Ex-Klub OGC Nizza durch eine 2:3-Schlappe in Lyon die Europa League verpasste.

Ganz andere Ambitionen soll der 60-Jährige ab dem 1. Juli, dem Tag seines offiziellen Amtsantritts, beim BVB verfolgen. Wie gewohnt werden die Granden der Borussia die direkte Qualifikation für die Champions League als Saisonziel vorgeben. Im Europapokal wollen die Dortmunder zumindest überwintern, ein Titel, zum Beispiel der DFB-Pokal, darf es auch gerne sein.

Favre muss dem BVB eine neue Identität geben

Doch auf Favre werden beim BVB darüber hinaus grundlegendere, deutlich schwierigere Aufgaben zukommen.

Nach der letztlich wohl alternativlosen Trennung von Thomas Tuchel und den mehr oder weniger großen Missgriffen Peter Bosz und Peter Stöger muss der frühere Coach von Borussia Mönchengladbach einen personellen Umbruch im Kader (mit-)gestalten, dem Team eine neue Spielphilosophie einimpfen und nicht zuletzt die ernüchterten Fans wieder mit ins Boot holen. Kurz: Favre muss dem achtfachen deutschen Meister eine neue Identität geben.

Ob der kauzige Perfektionist, fachlich-taktisch über jeden Zweifel erhaben und erwiesenermaßen ein "Spieler-Bessermacher", dafür der richtige Mann am richtigen Ort ist, ist zumindest fraglich.

Zauderhaft, mitunter fragil ist Favre von seiner Persönlichkeit her - und damit beispielsweise Lichtjahre entfernt von der selbstbewussten Menschenfänger-Mentalität eines Jürgen Klopp, in Dortmund auf Jahre hinaus wohl weiter die Benchmark für jeden Coach.

Favre habe sich während seiner Zeit als Trainer von Hertha BSC schwer getan, Entscheidungen in der Kaderplanung zu treffen, berichtete sein langjähriger Weggefährte Dieter Hoeneß. In Gladbach stand der frühere Mittelfeldspieler dem Vernehmen nach trotz sportlich überwiegend beeindruckender Ergebnisse aufgrund von Selbstzweifeln mehrfach vor dem Rücktritt.

Nach fünf Niederlagen zu Beginn der Saison 2015/2016 vollzog er diesen dann schließlich - gegen den Willen der Vereinsführung.

Favre muss sich beim BVB gegen Watzke und Co. behaupten

Beim BVB muss sich Favre mit seinen sportlichen Ansichten gegen Alphatiere wie Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, Sportdirektor Michael Zorc, den neuen Klub-Berater Matthias Sammer sowie Ex-Kapitän Sebastian Kehl als Leiter der Lizenzspielerabteilung durchsetzen. Gelingt ihm das nicht, würde seine Autorität gegenüber der Mannschaft schnell Schaden nehmen.

Zudem muss Favre beim zweitgrößten Fußball-Klub Deutschlands durch ein mediales Umfeld mit viel tückischeren Untiefen navigieren als in Berlin oder im vergleichsweise beschaulichen Mönchengladbach.

Ein dickes Fell wird dabei für den eigentlich so sensiblen Fußballlehrer unabdingbar sein. Vor allem, wenn angesichts der zu erwartenden Personalrochaden die Ergebnisse nicht gleich von Beginn an stimmen.

Bleibt für die Borussia zu hoffen, dass sich Favre dies in den drei Jahren nach seinem Abschied aus der Bundesliga zugelegt hat. Ansonsten droht dem BVB womöglich bald der nächste Eiertanz.

Tobias Knoop

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