07.03.2018 15:11 Uhr

Der rätselhafte Tod des "Beckenbauer des Ostens"

Lutz Eigendorf heuerte nach seiner Flucht beim 1. FC Kaiserslautern an
Lutz Eigendorf heuerte nach seiner Flucht beim 1. FC Kaiserslautern an

Bis zu seiner Republikflucht galt Lutz Eigendorf als das größte Talent des DDR-Fußballs. Der "Beckenbauer des Ostens" kam am 7. März 1983 bei einem Autounfall ums Leben. Welche Rolle spielte die Stasi beim Tod des talentierten Kickers?

Jede Flucht eines DDR-Bürgers über die Grenze in den Westen empfand Stasi-Chef Erich Mielke als persönlichen Affront. Als sich Lutz Eigendorf, das größte Versprechen des ostdeutschen Fußballs, im März 1979 nach einem Freundschaftsspiel des BFC Dynamo Berlin beim 1. FC Kaiserslautern von seinem Team absetzte und im Westen blieb, war dies für die Nomenklatura in Ost-Berlin der schlimmstmögliche Gesichtsverlust.

War doch Eigendorf die große Hoffnung von Mielkes Lieblingsklub BFC Dynamo. Denn anders als bei vielen anderen erfolgreichen Fluchtversuchen konnte die DDR-Führung das Verschwinden des populären Nationalspielers nicht kaschieren - auch wenn alle Fan-Devotionalien mit dem Namen oder dem Bild Eigendorfs vom Markt genommen wurden.

Stasi-Spitzel beschatten Eigendorf

Beim 1. FC Kaiserslautern fand der damals 23-Jährige eine neue sportliche Heimat. Während Eigendorf nach einer 12-monatigen Sperre langsam in der Bundesliga Fuß fasste, ließ sich privat seine DDR-Vergangenheit nicht einfach so abschütteln. "Es ist mein größter Wunsch, meine Familie so schnell wie möglich hier rüber zu holen", erklärte Eigendorf im bundesdeutschen Fernsehen. Doch genau das wollte die Stasi auf jeden Fall verhindern. Die Stasi observierte ihren "Verräter" Tag und Nacht. Mindestens 20 Spitzel, so verrieten später die Stasi-Unterlagen, wurden auf Eigendorf in Kaiserslautern und auf seine Ehefrau in Ost-Berlin angesetzt.

Auch Ronnie Hellström, der FCK-Teamkollege, geriet ins Visier des DDR-Geheimdienstes: "Eigendorf wohnte im selben Haus, in dem auch ich und Roland Sandberg wohnten", schrieb Hellström in seiner erschienenen Autobiografie: "Ich und meine Frau Harriet wurden da mit hineingezogen, da war ständig ein Auto, das uns beschattete."

Mit 2,2 Promille gegen einen Baum

Beim 1. FC Kaiserslautern absolvierte Eigendorf nach Ablauf seiner Sperre 53 Bundesligaspiele, erzielte dabei fünf Tore, blieb aber hinter seinen eigenen Ansprüchen zurück. Im Sommer 1982 wechselte der defensive Mittelfeldmann innerhalb der Bundesliga zu Eintracht Braunschweig. Die Stasi-Spitzel zogen mit Eigendorf hinterher. Anhand der Unterlagen lässt sich verfolgen, dass der Republikflüchtling Mielke und Co. auch nach vier Jahren noch ein Dorn im Auge war. Sein gesamtes Leben wurde weiterhin ausspioniert - sein Tagesablauf, private Beziehungen, Besuche in Kneipen und Bars und seine täglichen Fahrtstrecken wurden penibel festgehalten.

Kurz vor seinem Tod gab Eigendorf im Westfernsehen ein DDR-kritisches Interview. War dies der Tropfen, der aus Sicht der Stasi das Fass zum Überlaufen brachte? In der Nacht des 5. März kam Lutz Eigendorf mit seinem Alfa Romeo in einer unübersichtlichen Kurve von der Strecke ab und knallte gegen einen Baum. Zwei Tage später erlag er seinen schweren Verletzungen. Die medizinische Untersuchung ergab einen Blutalkoholgehalt von 2,2 Promille beim Opfer. Für die Polizei schien die Sache eindeutig: Der Fußballprofi hatte sich in volltrunkenem Zustand zu Tode gefahren.

War es Mord?

Viele Experten stellen die Untersuchungsergebnisse aber nicht zufrieden. Vor allem der ermittelte Alkoholgehalt im Blut lässt viele Fragen offen. Denn laut Aussagen von Augenzeugen, die Eigendorf am Abend des Unfalls in den von ihm besuchten Kneipen beobachtet hatten, hatte dieser insgesamt maximal drei bis vier kleine Biere im Verlauf des Abends getrunken - viel zu wenig für die ermittelten 2,2 Promille. Aufgrund der Vergangenheit Eigendorfs schlossen sie eine aktive Beteiligung der Stasi am Unfalltod des ehemaligen Vorzeigekickers nicht aus.

Neue Nahrung erhielten die Mordtheorien nach der Wende durch die Öffnung der Stasi-Archive. Ab 1981 änderte sich der Ton in den Unterlagen. Von neuen Maßnahmen gegen den Flüchtling ist dort die Rede. Zur Lösung von Sonderaufgaben solle ein weiterer IM eingesetzt werden. Später gesteht der ehemalige IM "Klaus Schlosser", dass er von der Stasi einen Mordauftrag bekommen haben soll, diesen aber nie ausgeführt habe. Immerhin bekam "Schlosser" nach dem Tod eine Prämie von 500 Mark. Wofür, konnte nie ermittelt werden. Gleichzeitig fehlen in den Stasi-Unterlagen von IM "Klaus Schlosser" genau die Jahre 1980 bis 1983.

Beweise für einen Mordauftrag der Stasi gibt es nicht, bestenfalls Indizien, die in der "WDR"-Dokumentation "Tod dem Verräter" aufgearbeitet wurden. Dennoch werfen 35 Jahre nach seinem Tod die Umstände dennoch jede Menge Fragen auf, auf die es wohl keine endgültige Antwort mehr geben wird. Lutz Eigendorf wurde nur 26 Jahre alt.

Ralf Amshove

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