09.02.2018 08:48 Uhr

Khedira: Ohne "Schnickschnack" zum Juventus-Helden

Sami Khedira hat in Turin seinen Tor-Riecher wiedergefunden
Sami Khedira hat in Turin seinen Tor-Riecher wiedergefunden

Sieben Liga-Siege in Folge, seit zehn Serie-A-Spielen ungeschlagen und in dieser Zeit nur ein Gegentor kassiert: Juventus Turin schwimmt auf einer Welle des Erfolgs. Mittendrin: Deutschlands Fußball-Nationalspieler Sami Khedira, der ganz nebenbei einen persönlichen Rekord jagt.

Nach seinem Doppelpack beim 7:0-Spektakel der Bianconeri über Sassuolo Calcio am 23. Spieltag steht Khedira bei sechs Saisontoren, mehr Treffer erzielte der 30-Jährige nur in der Saison 2008/2009, als er im Trikot des VfB Stuttgart sieben Buden markieren konnte.

"Es freut mich natürlich, dass ich aktuell auch immer wieder mal richtig stehe und Tore beisteuern kann", gab sich Khedira im Anschluss zufrieden und auch die wankelmütige italienische Presse lobte den Deutschen: "Ein Khedira in Glanzform", urteilte die Turiner Tageszeitung "La Stampa", "einfach beeindruckend", stellte die "Gazzetta dello Sport" treffend fest.

Selbige Presse zeigte sich indes vom Mittelfeldstrategen nicht immer so begeistert. Als Khedira im Sommer 2015 bei Juventus das Erbe des großen Andrea Pirlo, der sich als gefeierter "Architekt" des Doubles in die USA verabschiedet hatte, antrat, setzte es Kritik. "Es macht keinen Sinn, ihn mit Pirlo zu vergleichen", polterte die "Gazzetta dello Sport" nach Khediras Debüt und fügte an, Khedira sei als Spielmacher schlichtweg "schlecht". 

Kritik unterhalb der Gürtellinie

Schockiert dürfte der Weltmeister ob der rüden Urteilsfindung allerdings längst nicht mehr gewesen sein. Auch während seiner Zeit bei Real Madrid (2010 - 2015) erwiesen sich übertrieben kritische Stimmen als treue Begleiter. Khedira musste sich vorwerfen lassen, er habe "Zucchini in den Füßen", "misshandele" den Ball und könne nicht einmal "einen einfachen Pass spielen".

Harte Worte über einen Spieler, der beinahe 100 Mal in der Startelf der Königlichen stand, der seinen Platz im hartumkämpften Zentrum der DFB-Elf seit Jahren verteidigt und dessen Dienste Taktik-Experten wie José Mourinho oder Carlo Ancelotti stets schätzten. Auch bei Juventus brauchten die, die es wirklich wissen müssen, nicht lange um zu erkennen, welchen Wert Khedira für ihr Spiel haben kann.

"Für mich war er eine unglaubliche Offenbarung. Ich gestehe ehrlich ein, seine Karriere vor dem Wechsel zu Juve nicht akribisch verfolgt zu haben. Dann überraschte er mich mit seiner Spielintelligenz, Abgeklärtheit und Klasse", überschlug sich Juventus' Torhüter-Legende Gianluigi Buffon. Sein damaliger Mitspieler Paul Pogba attestierte dem Laufwunder Khedira "fünf Lungen" und Coach Massimiliano Allegri ergänzte: "Er mag langsam wirken, genau wie früher Pirlo. Aber das täuscht, er strahlt einfach Ruhe aus. Er macht sehr wenig Fehler und steht fast immer richtig."

Schnickschnack? Nein, danke!

Worte, die das Darstellungsdilemma des Mittelfeldstrategen verdeutlichen. Anstatt seinen unermüdlichen Kampfgeist mit einer spektakulären Grätsche zu untermauern, setzt Khedira auf seine Fähigkeit, das Spiel zu lesen und verhindert mit starkem Stellungsspiel häufig die Notwendigkeit ultimativer und effekthaschender Rettungstaten.

Kurz: Khediras Spielweise benötigt die Akzente, die in den Köpfen der Zuschauer hängen bleiben, nur selten. Das belegt auch eine Aussage, die der Deutsche gegenüber "uefa.de" über sein Vorbild Zinédine Zidane fällte: Er hat "den Fußball so einfach aussehen lassen. Ich weiß, dass ich nie so filigran sein werde, wie er. Aber er hat verstanden, wie das Spiel funktioniert, ohne großen Schnickschnack."

Ohne großen Schnickschnack hat sich Khedira inzwischen längst in die Herzen der Fans gekickt. "Bei Juve werden nicht nur die Stürmer und Künstler anerkannt", das habe ich "lange vermisst", ließ der Spielmacher keine Zweifel daran, dass er sich im Schoß der alten Dame wohlfühlt. Einen zuletzt häufig diskutierten Abschied in Richtung Amerika fegte Khedira folgerichtig unlängst vom Tisch.

Khedira schließt USA-Wechsel aus

"Körperlich bin ich in der besten Verfassung meines Lebens, warum sollte ich also in die MLS wechseln und die Möglichkeit herschenken, noch viele Jahre in Europas Top-Ligen zu spielen?", so Khedira zu "Sky Sports Italia". Die Chance, dass er im Sommer in die USA wechsle, bestehe nicht. Im Gegenteil: Er wisse inzwischen, wie der Fußball in Italien funktioniere, sei glücklich in Turin, möge die Stadt und das Leben am Stiefel und fühle die Liebe der Fans. Seinen 2019 auslaufenden Vertrag zu erneuern, sei somit natürlich "eine Option".

Apropos Zukunft in Turin: Geht es nach Khedira, verbringt er seine weitere Zeit im Dress der Bianconeri an der Seite eines Nationalmannschaftskollegen. Der gebürtige Stuttgarter plädiert für die Verpflichtung von Liverpools Emre Can. "Er ist jung, stark und sehr talentiert. Sollte Juventus die Möglichkeit haben, ihn zu verpflichten, würde ich sie umgehend wahrnehmen."

Vorerst wird Khedira die Fäden im Mittelfeld allerdings ohne Can ziehen müssen. Zumal Juventus erneut die Chance auf eine starke Saison hat. In der Liga rangiert man nur noch einen Punkt hinter der Spitze, im Pokal steht man im Halbfinale und auch in der Champions League ist noch alles möglich. Ziele, denen Khedira seinen möglichen Torrekord sicher unterordnen würde.

Marc Affeldt

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