12.01.2018 07:17 Uhr

Vor dem Topspiel: Frischer Wind unter dem Bayer-Kreuz

Die Werkself geht das Top-Spiel gegen Bayern München selbstbewusst an
Die Werkself geht das Top-Spiel gegen Bayern München selbstbewusst an

Vor dem Rückrundenstart gegen Bayern München ist die Vorfreude bei Herausforderer Bayer Leverkusen spürbar. Kein Wunder, zählte die Werkself in der abgelaufenen Halbserie der Fußball-Bundesliga doch zu den positiven Erscheinungen. Der Aufschwung ist dabei nur die logische Folge einer gelungenen Personalpolitik.

Manchmal reicht ein einfacher Tweet, um die Stimmungslage eines Vereins auf den Punkt zu bringen. Als der US-Ableger des Bayern-Accounts zu Jahresbeginn Bilder postete, auf denen die Superstars Thomas Müller und James Rodríguez mit Schmolllippe zu sehen waren, nutzte die Social-Media-Abteilung der Werkself die Gunst der Stunde für einen gelungenen Seitenhieb. "Das Gesicht, das du machst, nachdem du alle drei Punkte in der BayArena abgegeben hast", stichelten die Leverkusener. 

In Zeiten täglicher Interaktion über die sozialen Netzwerke mögen derlei Spitzen gang und gäbe sein, in diesem Falle aber besitzen sie Symbolcharakter. Unter dem Bayer-Kreuz weht ein neuer Wind.

Herrlichs Heimmacht

Maßgeblichen Anteil an der offenkundigen Metamorphose vom Krisen-Klub zum Königsklassen-Anwärter hat Trainer Heiko Herrlich, der im Sommer überraschend das Ruder übernommen hatte. Zwar ging der Start mit vier Punkten aus fünf Partien in die Hose, in den folgenden 14 Pflichtspielen blieb die Werkself jedoch ungeschlagen. Geht es nach den Entscheidungsträgern in Leverkusen, hat diese Serie auch nach dem 18. Spieltag noch Bestand.

Die Statistik macht Hoffnung, schließlich haben die Rheinländer keines ihrer letzten vier Heimspiele gegen Bayern München verloren. Der deutsche Rekordmeister wartet seit unglaublichen 331 Minuten auf einen Treffer in der BayArena - so lange wie bei keinem anderen Liga-Konkurrenten. Zudem sind Herrlichs Schützlinge in der laufenden Spielzeit zu Hause ungeschlagen. Vorteil Bayer?

Schulterklopfer für die Strippenzieher

So weit möchte beim Herausforderer keiner gehen. "Wenn der FC Bayern sein bestes Gesicht zeigt, wird es schwierig für uns. Wir müssen an unsere Leistungsgrenze kommen und auf Fehler hoffen, dann haben wir vielleicht eine Chance", äußerte sich Cheftrainer Herrlich auf der Spieltags-PK betont unprätentiös.

Freilich genügt ein Blick auf die Trümpfe der Werkself, um die verbale Zurückhaltung im Vorfeld als Understatement zu entlarven. Rudi Völler und Jonas Boldt, die beiden Strippenzieher im Hintergrund, dürfen sich für ihre gelungene Personalpolitik im vergangenen Sommer auf die Schultern klopfen.

Nach einer vollends enttäuschenden Saison 2016/2017, die auf Platz 12 endete, hatten in Hakan Calhanoglu, Kevin Kampl, Ömer Toprak, Aleksandar Dragovic und Chicharito gleich fünf potenzielle Stammkräfte das Weite gesucht. Das Quintett spülte knapp 75 Millionen Euro in die Bayer-Kassen, die mangels Europacup-Einnahmen zunächst weniger prall gefüllt waren als in den Jahren zuvor.

B-Lösung? Von wegen!

Reinvestiert wurde das Geld zuvorderst in Fußballlehrer Herrlich, der nach zwei Aufstiegen in Serie von Jahn Regensburg losgeeist wurde. Nach Absagen von Ex-BVB-Coach Thomas Tuchel und Lucien Favre war der Ex-Profi in der Kandidatenliste an oberste Stelle gerückt. Ohne Nebengeräusche ging der Wechsel nicht vonstatten, haftete Herrlich doch das Stigma an, nur die B-Lösung gewesen zu sein. 

"Das ist eine junge, hochtalentierte, hungrige, schnelle Mannschaft, die auch viel Phantasie hat", lobte Bayern-Trainer Jupp Heynckes, der die Werkself von 2009 bis 2011 betreut hatte, die Leverkusener. Der Altmeister weiß um die Stärken des kommenden Gegners: Kein anderes Bundesliga-Team ist konterstärker als Bayer (sieben Tore nach Tempogegenstößen), das zudem die zweitmeisten Torchancen (190) aller Klubs herausgespielt hat und in den letzten sechs Begegnungen stets den ersten Treffer erzielte.

Doch auch abseits harter Fakten hat Herrlich dringend benötigte Reformen vorangetrieben und verloren geglaubte Tugenden zurückgebracht. Im "Kölner Stadt-Anzeiger" erläuterte er sein Credo: "Das Wichtigste ist der Teamgedanke und der Wille, das Spiel zu gewinnen." Und tatsächlich: Das Klima in der Mannschaft stimmt, jeder Akteur zerreißt sich für den Gesamterfolg. 

Bailey brandgefährlich, Bender-Brüder unentbehrlich

Ein weiterer Garant für den sportlichen Aufschwung waren vier Volltreffer auf dem Transfermarkt. Neben Trainer Herrlich schlossen sich die Abwehrspieler Sven Bender und Panagiotis Retsos, Mittelfeld-Abräumer Dominik Kohr und Stürmer Lucas Alario dem Werksklub an. Die rund 56 Millionen Euro teuren Neuzugänge rechtfertigten das Vertrauen der Verantwortlichen und fügten sich nahtlos in den homogenen Kader ein.

Das Mini-Aufgebot der Leverkusener, das nur 24 Profis umfasst, wirkt gefestigt und fokussiert auf das gemeinsame Ziel, nach Europa zurückzukehren. Auf Rückschläge reagiert die Mannschaft willensstark und legt zudem eine hohe taktische Flexibilität an den Tag. Ob im 3-4-2-1-System mit dem auftrumpfenden Kevin Volland im Angriffszentrum, in einer 4-4-2-Formation mit dem physisch starken Lucas Alario als zweite Spitze oder gar im 4-3-3 - Bayer bleibt unberechenbar.

Während die wiedervereinigten Bender-Zwillinge Lars und Sven den Laden hinten dicht halten und ihrer angedachten Rolle als Führungsspieler gerecht werden, ist weiter vorne auf Shootingstar Leon Bailey Verlass. Der blitzschnelle Jamaikaner (12 Scorerpunkte) wirbelt die gegnerischen Abwehrreihen Woche für Woche durcheinander und harmoniert prächtig mit Volland und Linksaußen Julian Brandt. Es ist auch Herrlichs Verdienst, dass die Abteilung Attacke im Bayer-Werk wieder zuverlässig liefert - im Idealfall auch im neuen Jahr.

Zum Start in die Rückrunde warten mit dem FC Bayern und 1899 Hoffenheim zwei äußerst knifflige Aufgaben auf das Team. Der Respekt ist groß, das Selbstvertrauen aber auch, wie Ballzauberer Bailey beweist: "Wir haben Er­war­tun­gen an das Spiel gegen Bayern. Sie sind eines der bes­ten Teams der Welt, aber wir sind in guter Form." Es klingt wie eine Warnung.

Heiko Lütkehus

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