22.12.2016 17:02 Uhr

Mertens bei Neapel: Von zentraler Bedeutung

In der Form seines Lebens: Dries Mertens begeistert die Serie A
In der Form seines Lebens: Dries Mertens begeistert die Serie A

Gonzalo Higuaín? Längst vergessen. Arkadiusz Milik? Soll sich in Ruhe auskurieren. Beim Serie-A-Riesen SSC Neapel spricht derzeit keiner über den Aderlass im Angriff. Grund dafür sind die Galaform des früheren Chancentods Dries Mertens und ein genialer Schachzug des Trainers.

Für Joe Hart war der vierte Advent in diesem Jahr ein Tag zum Vergessen. Gleich fünfmal musste der vor Pep Guardiola zum FC Turin geflohene Keeper am Sonntag hinter sich greifen.

Eine seltene Schmach für den erfolgsverwöhnten 29-Jährigen, der nach dem spektakulären 3:5 beim SSC Neapel gehofft haben dürfte, einem ganz bestimmten Gegenspieler so bald nicht wieder über den Weg zu laufen. Denn was ‎Partenopei-Angreifer Dries Mertens zuvor mit Hart und Co. angestellt hatte, grenzte an Zauberei.

Vier Treffer trug der Belgier im Stadio San Paolo, darunter einen lupenreinen Hattrick innerhalb von neun Minuten. Und als wäre all das nicht Beweis genug für den derzeitigen Lauf des 1,69 Meter großen Wirbelwindes, stellte er zugleich noch eine Uralt-Bestmarke ein: Erstmals seit 1974 gelang es einem Spieler in der Serie A, an zwei aufeinanderfolgenden Spieltagen mindestens dreifach einzunetzen.

In der Vorwoche war Mertens bereits beim 5:0-Coup in Cagliari der überragende Mann auf dem Platz. Doch warum die plötzliche Explosion des 29-Jährigen?

Milik ersetzt Higuaín, Mertens ersetzt Milik

Die Ursachenforschung führt schnell zum Vater des neapolitanischen Erfolgs: Cheftrainer Maurizio Sarri. Der Fanliebling musste die Abteilung Attacke seiner Mannschaft in diesem Jahr gleich zweimal entscheidend umbauen, doch bewies in der Not einen kühlen Kopf.

Als die Lockrufe aus Turin im Juli dazu führten, dass Gonzalo Higuaín (Saison 15/16: 36 Tore) für rund 90 Millionen Euro zur Alten Dame wechselte, wählte Sarri in Absprache mit dem mächtigen Vereinspräsident Aurelio De Laurentiis eine vermeintlich "kleine" Lösung und holte den Polen Arkadiusz Milik aus Amsterdam an den Stiefel.

Mit Erfolg: In den ersten Wochen brillierte der Ex-Leverkusener und ließ seinen Vorgänger beinahe vergessen. Der Plan des Trainer war aufgegangen.

Im Oktober dann der Schock, als Milik sich am Kreuzband verletzte und monatelang auszufallen drohte. Im Napoli-Umfeld wuchs die Angst, den Anschluss zur Spitzengruppe zu verlieren. Nicht zuletzt, da sich Ersatzstürmer Manolo Gabbiadini weiter auf Formsuche befand.

Doch Sarri bewies erneut ein bemerkenswertes Spürnäschen. Der sonst auf der linken Außenbahn eingeplante Mertens wurde kurzerhand in die Mitte beordert, um mit Tempo, Wendigkeit und Dribbelstärke Lücken zu reißen.

Ein bemerkenswerter Schachzug, den der 57-Jährige treffend beschreibt: "In den letzten sechs Monaten haben wir Higuaín verloren und dann noch Milik mit seiner Verletzung. Aber wir haben Lösungen gefunden".

Zentrale Rolle - in doppelter Hinsicht

Während seiner ersten drei Jahren in Italien war der Belgier stets fester Bestandteil der SSC-Offensive, oftmals allerdings als Edeljoker. Dem Leichtgewicht haftete der Ruf an, zu verspielt und wenig kaltschnäuzig zu sein. Doch der Trainer stand zu seinem Schützling und vertraute ihm nach dem Milik-Aus eine zentrale Rolle an - in doppelter Hinsicht.

Sechsmal durfte Mertens zuletzt in vorderster Front spielen, obwohl ihm wichtige Merkmale eines Mittelstürmers wie Robustheit und Kopfballstärke völlig abgehen.

Doch der umgeschulte Angreifer bewährte sich, wirbelte die gegnerischen Abwehrketten reihenweise durch und setzte seine Nebenmänner klug in Szene. Längst wissen Kapitän Marek Hamšík und Co., dass auf Mertens Verlass ist und suchen ihn im Spiel nach vorne.

Und der Neu-Knipser zahlt das Vertrauen zurück, steht zum Ende der Hinserie bereits bei zehn Treffern in der Liga und vier weiteren in der Königsklasse. Eine beeindruckende Quote.

"Er macht für uns den Unterschied"

Kaum verwunderlich, dass sich Taktikfuchs Sarri in seiner früheren Einschätzung bestätigt fühlt, wenn er seinen Torjäger wie zuletzt lobt: "Dries macht für uns den Unterschied. Er ruft endlich sein volles Potenzial ab, nachdem es ihm zuvor immer ein wenig an Konstanz gemangelt hat. Und auch neben seinen Treffern ist er weiterhin ein wichtiger Wegbereiter für unser Angriffsspiel".

Wenn Neapel am Donnerstag die Fiorentina zum Duell trifft, werden sich viele Blicke auf Mertens richten.

Kürzlich zog die Presse gar Parallelen zu Klublegende Diego Maradona, immerhin teilen die beiden Ballzauberer die Initialen "DM". Die "Corriere dello Sport" titelte "Diego Armando Mertens", auch von "Maramertens" war zu lesen.

Bleibt die Frage, wie lange der 55-fache Nationalspieler noch den Mittelstürmer geben darf, schließlich kehrt Milik bald auf den Rasen zurück. Zudem steht Neapel unmittelbar vor der Verpflichtung von Genua-Goalgetter Leonardo Pavoletti.

Doch Mertens bleibt cool: "Egal, mit wem ich spiele - Hauptsache es geht so weiter wie zuletzt".

Heiko Lütkehus

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