28.06.2016 11:13 Uhr

Furia Roja: Wie "das Orchester der Titanic"

Am Boden: Spaniens Juanfran
Am Boden: Spaniens Juanfran

Als Spaniens einstige Helden ratlos und wie geprügelte Hunde aus dem Stade de France schlichen, stimmte die Presse ohne Gnade den Abgesang an. Wie "das Orchester der Titanic", schrieb die "AS", sei der Titelverteidiger untergegangen - das desolate Achtelfinal-Aus bei der EM gegen den großen Rivalen Italien bedeute nicht weniger als das "Ende einer Ära". Nur einer wollte das nicht wahrhaben.

"Nein, das denke ich nicht", sagte Vicente Del Bosque trotzig, als die unvermeidliche Frage aller Fragen kam. Den Rücktritt, die persönliche Konsequenz nach dem 0:2 (0:1) am Montag, dem zweiten Turnierfiasko in Folge, schloss der 65-Jährige zunächst aus. Über seine Zukunft, sagte der Coach, werde zwar zu reden sein - aber nicht an diesem Abend.

"Ich weiß nicht, was der Trainer machen wird. Es ist seine Entscheidung", sagte Kapitän Sergio Ramos, der sich als einer der wenigen den Fragen stellte: "Ich weiß nicht, ob wir was ändern sollten. Von der Couch aus, mit einer Tüte Chips in der Hand, ist das einfach zu beurteilen. Aber wir gucken nach vorne."

Ideenlose Künstler

Der Blick in die Zukunft erschien am Montagabend aber äußerst düster. Zum zweiten Mal nach 2014 scheiterte der Titelverteidiger, der als einer der Favoriten nach Frankreich gereist war, sang- und klanglos. Die leidenschaftlich spielenden Italiener waren eine Klasse besser. Den Künstlern um Dirigent Andrés Iniesta, der stocksauer und wortlos aus dem Stadion verschwand, fiel nichts ein: Kein Feuer, kein Esprit, kein Elan - es war ein Desaster.

"Wir sind nicht mehr die Besten", verabschiedete die Sportzeitung "Marca" die Goldene Generation des spanischen Fußballs: "Der Zyklus, der 2008 begann, ist jetzt Geschichte." Für die "Mundo Deportivo" beging Spanien in der ersten Halbzeit gar "Selbstmord". Giorgio Chiellini schockte die Selección (33.), die keine Antwort mehr fand. Graziano Pellè (90.+1) macht die Demütigung perfekt.

Und jetzt? Steht es schlecht um Spaniens Fußball - obwohl die Klubs seit Jahren die europäischen Wettbewerbe dominieren? "Nein", sagte Del Bosque, "der spanische Fußball hat eine gute Struktur, gute Akademien, gute junge Spieler, und in den Klubs wird gute Arbeit geleistet." Aber ein Turnier könne eben nur eine Mannschaft gewinnen.

Spanier hoffen auf frischen Wind

Del Bosque ist seit 2008 im Amt, als er den Posten nach dem EM-Triumph in Österreich und der Schweiz vom inzwischen verstorbenen Luis Aragonés übernahm. Sein Vertrag endet im Juli. Viele Spanier hoffen, dass Präsident Ángel María Villar ihn nicht noch einmal verlängert. Die Lage ist kompliziert: Villar könnte bald für die Präsidentschaftswahl der Europäischen Fußball-Union kandidieren - über die Zukunft der Selección müsste dann ein anderer entscheiden.

Die Liste der Nachfolgekandidaten scheint lang. Laut AS wäre Joaquín Caparrós (60), der in seiner Karriere unter anderem beim FC Sevilla, bei Deportivo La Coruña und Athletic Bilbao an der Seitenlinie stand, aber nie wirklich erfolgreich war, der Favorit. Genannt wird aber auch ein halbes Dutzend anderer Namen. So einen wie Del Bosque, den großen "Mister" des spanischen Fußballs, werden sie so schnell nicht finden.

"Man sollte nicht an der Einstellung der Spieler zweifeln", mahnte der Trainer, "sie haben mit Herz gespielt." Spanien habe "eine goldene Ära" erlebt - und diese sei trotz der Schlagzeilen bei "AS" und "Marca" noch lange nicht zu Ende. "Echte Sportsmänner fallen um, aber sie stehen auch wieder auf", sagte er. "Wir können noch viel erreichen. Und es geht ja weiter." In der Quali für die WM in Russland wartet übrigens: Italien.

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