26.06.2016 12:51 Uhr

Taktik statt Tore: EM kommt nicht in Fahrt

Viel Kampf, viel Krampf: Kroatien fand gegen extrem defensive Portugiesen keine Mittel
Viel Kampf, viel Krampf: Kroatien fand gegen extrem defensive Portugiesen keine Mittel

Fans und Experten sind sich einig wie selten: Die XXL-EM in Frankreich macht weiterhin keine große Freude. Wer auf die Achtelfinals als Jungbrunnen für die Spielkultur gehofft hatte, wurde bitter enttäuscht.

Die auch von Bundestrainer Joachim Löw geschürte Hoffnung auf spannendere und vor allem endlich hochklassige Spiele mit Beginn der K.o.-Phase wurde durch die Ultra-Langweiler zum Achtelfinal-Start zwischen Wales und Nordirland (1:0) und Portugal gegen Kroatien (1:0 n.V.) kräftig torpediert. "Dieses Turnier muss langsam ein paar Tore bringen", moserte Englands Ex-Stürmerstar Gary Lineker, der sich gerne als moralische Fußball-Instanz inszeniert.

Doch Lineker ist diesmal nicht allein mit seinem Fußball-Frust. Gerade das Duell der Real-Madrid-Stars Cristiano Ronaldo und Luka Modrić mit historischen null Torschüssen in 90 Minuten heizte die Diskussion um EM-Taktik und EM-Modus vor dem deutschen Achtelfinale gegen die Slowakei weiter an.

"Wir haben versucht, das Spiel zu machen, aber Kroatien hat uns nicht gelassen. Und Kroatien hat versucht, das Spiel zu machen, aber wir haben sie nicht gelassen", erklärte Portugals Trainer Fernando Santos den unansehnlichen Kick - normale Turnierlogik, wenn es im K.o.-Modus um Alles oder Nichts geht.

Keine Änderung in Sicht?

Reflexartig echauffierte sich die internationale Internet-Gemeinde aber noch während des Schnarch-Spiels in Lens über den neuen EM-Modus - eine Modeerscheinung in diesem noch recht tristen Fußballsommer. Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger merkte mit ironischem Unterton in Richtung des ehemaligen UEFA-Chefs und EM-Ideengebers Michel Platini an. "Was ist das größere Verbrechen von Platini? 2 Mio von Blatter kassiert oder EM Teilnehmerfeld um 50 % aufgestockt?"

Das alte Fußball-Europa tut sich fürchterlich schwer, die Realität anzuerkennen, dass die automatischen Herrscher-Zeiten der nun auch noch in einer K.o.-Hälfte versammelten, traditionellen Kern-Teams um die nationalen Alphatiere Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich, England vorbei ist. Die schon in der Qualifikation gescheiterten Holländer haben dies bereits leidvoll aufarbeiten müssen.

Schöne Momente abseits des Platzes

Doch ist die Aufblähung auf 24 Teams mit fünf frechen Turnierneulingen tatsächlich schuld am dürftigen Spielniveau? Die Verteidiger der Mammut-EM haben gute Gründe, auf unschuldig zu plädieren. Gerade die kleinen Teams wie Island oder Wales brachten der EM auf und abseits des Spielfeldes erfrischende Momente - und sei es mit dem ekstatischen TV-Reporter Gudmundur Benediktsson oder Family-Fotos von Superstar Gareth Bale mit Tochter Alba Violet.

Die gnadenlos unterschätzten Ungarn waren am bislang torreichsten Spiel (3:3 gegen Portugal) beteiligt. Die für ihre Mauertaktik harsch kritisierten Nordiren wären als Sieger der Qualifikationsgruppe F auch nach dem alten Modus bei der EM dabei gewesen. Ungarn, Wales und Island schafften als Sieger oder Zweite ihrer Vorrundengruppe den normalen Weg in die K.o.-Runde. Und: Das Duell Portugal gegen Kroatien hätte kein Experte als legitimes K.o.-Spiel in einer späten Turnierphase infrage gestellt.

Den Trend gibt es schon länger

Aber: 73 Tore nach 39 Partien, 1,87 pro Spiel oder alle 49 Minuten ein Treffer - die EM steuert auf den Tiefstwert ihrer Historie zu. Gerade die Top-Stürmer tun sich schwer: Robert Lewandowski, Zlatan Ibrahimović und Wayne Rooney stehen als Promi-Trio symbolisch für einige Null-Tore-Angreifer. Da bleibt der Fußball-Spaß auf der Strecke. Und doch ist der EM-Trend nur die Fortsetzung eines Phänomens, das auch im Liga-Alltag oder in der Champions League zu beobachten war.

Schwächere Mannschaften haben die DNA der Zauberfußballer geknackt. Ultra-Defensive ist die einzige Chance, sich sportlicher Übermacht zu erwehren und wird mit taktischer Disziplin kultiviert. Die EM ist schlicht die Fortsetzung der Atlético-Madrid-Devise, die Bayern München in der Königsklasse zu Fall brachte oder des Darmstädter Fußball-Duktus', der dem Bundesliga-Underdog den Klassenverbleib bescherte. Man kann den begrenzten Spaß aber auch humorvoll kommentieren. Wie das geht, zeigte Regionalligist Rot-Weiß Oberhausen:

 

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