11.05.2016 13:45 Uhr

Verkehrte Welt in Russland

FK Rostov hat in dieser Saison allen Grund zum Jubeln
FK Rostov hat in dieser Saison allen Grund zum Jubeln

Mit Verwunderung reibt man sich mit Blick auf die russische Premier Liga die Augen. Ein Abstiegskandidat steht auf Platz zwei, ein Traditionsverein vor dem Abstieg. Und vorne mit dabei: ein neues Spitzenteam. Eine Bestandsaufnahme dreier Vereine, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Zu den etablierten Spitzenteams um CSKA und Zenit gesellt sich in dieser Saison eine waschechte Überraschungsmannschaft. Dem FK Rostov, letzte Saison beinahe abgestiegen, fehlt nur wenig zum großen Coup. Der vierte Verein im Bunde ist der FK Krasnodar, der seit seiner Gründung vor acht Jahren für Furore sorgt. Ganz andere Sorgen hat unterdessen Dinamo Moskva, die sogar noch um die Ligazugehörigkeit zittern müssen – ob das mit dem Abgang von Kevin Kurányi zu tun hat?

  • Dinamo Moskva: Alle Mann von Bord!

Es sollte der ganz große Umbruch in Moskau stattfinden. Dinamos milliardenschwerer Präsident und Putinfreund Boris Rotenberg krempelte den Verein vor der Saison kräftig um: Elf Spieler verließen den Club vor Saisonstart, zwei weitere verschwanden in der Winterpause. Unter ihnen Spieler mit Rang und Namen: Mathieu Valbuena, Yuriy Zhirkov, Aleksandr Kokorin und eben Kevin Kurányi...

Nach Platz vier in der letzten Saison sollte für den elfmaligen Sowjet-Meister endlich ein Titel her, die Stadtrivalen CSKA, Lokomotiv und Spartak in den Schatten gestellt werden. Trainer Andrey Kobelev, auch erst zu Saisonbeginn zu seinem Heimatverein zurückgekehrt, setzte aus der Not heraus auf die Jugend. Acht Spieler wurden aus der zweiten Mannschaft befördert, sieben von ihnen sind russische U21-Nationalspieler.  

Doch anstatt zu glänzen, waren die Auftritte der Hauptstädter bisher eher gruselig. Das Jugendkonzept über den Haufen geschmissen, wurden im Winter doch noch vier neue Spieler verpflichtet. Trotzdem taumelt der Verein seither von Niederlage zu Niederlage. Nun könnte man sogar zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte absteigen. Obendrein verkündete der Traditionsverein drei Spieltage vor dem Ende den Abgang von Trainer Kobelev. Gut, dass Kevin Kurányi das sinkende Schiff längst verlassen hat.

  • FK Krasnodar: "Die anderen Russen"

Dass Dynamo Moskau alles andere als ein gutes Händchen in Sachen Transfers beweist, zeigt die Personalie Fedor Smolov.  In Moskau unterschätzt, zahlt der Stürmer seinem neuen Verein FK Krasnodar das Vertrauen fulminant zurück. Mit 17 Treffern ist er derzeit der beste Schütze der Liga und ballert seine "Bullen" erneut in Richtung Europa. Krasnodar – eine Erfolgsstory, wie sie im Buche steht.

In Russland gilt der Verein seit seiner Gründung im Jahr 2008 als das Vorzeigeprojekt. 2010 gelang der Aufstieg in die erste Liga, seit 2014 ist man ständiger Gast der Europa League. Gerne stellt man sich im Süden des Landes als „offen, medienfreundlich, kommunikativ“ und eben "anders" als die von Oligarchen und Staatsunternehmen gesponserten Vereine der Konkurrenz, wie selbst die deutsche "Zeit" vor einiger Zeit bewundernd hervorhob.

Im Grunde genommen fließt aber auch am Kuban nur das dicke Geld. Besitzer und Milliardär Sergej Galitski stellte sukzessive eine defensiv ausgerichtete Mannschaft zusammen, die sich als Spitzenteam in kürzester Zeit etabliert hat. Internationalität und Kontinuität stehen dabei oben auf der Prioritätenliste: Jeder Zweite in den Reihen der Schwarz-Grünen kommt aus dem Ausland; Jüngst bestritt der Schwede Andreas Granqvist gar sein 100. Spiel für den Verein. Und nachdem Fedor Smolov ablösefrei (!) losgeeist werden konnte, läuft es eben nun auch in der Offensive. Obwohl sich der ganz große Erfolg noch nicht eingestellt hat, ist man sicher: Mit FK Krasnodar wird weiterhin zu rechnen sein.

  • FK Rostov: Ein wundersamer Aufstieg

Fußballfans in ganz Europa schauen derzeit gerne nach England, wo das kleine Leicester City den "Big Five" ein wahrliches Schnippchen geschlagen hat. Lohnenswert ist aber auch der Blick in die russische Premier Liga, wo der FK Rostov eine nicht minder schöne Erfolgsstory schreibt. Letzte Saison dem Abstieg nur haarscharf entgangen, stehen die Südrussen nun sagenhafterweise auf Platz zwei mit nur zwei Zählern Rückstand auf CSKA. Wie ist das möglich?

Der Erfolg der Gelb-Blauen in dieser Saison kam gewissermaßen mit dezenter Ankündigung. Mit dem überraschenden Pokalsieg 2014 gegen FK Krasnodar, dem größten Triumph des Vereins, deutete man das Potenzial bereits an. Nach der desolaten letzten Saison verbesserte Trainer Kurban Berdiyev vor allem die Defensive. Aus einer stabilen Grundformation heraus verlagert das Team die Spielaktionen häufig auf die Flügel und kontert gnadenlos. Das Ergebnis: Nur 19 Gegentore nach 28 Spielen, 14 Spiele zu Null, Platz zwei.

Die Pflichtaufgabe am vergangenen Spieltag gegen Lokomotiv wurde nach dem Patzer gegen Saransk eindrucksvoll gelöst. Mittelfeldspieler Pavel Mogilevets sagte kurz nach der Partie euphorisch: "Was ich gerade empfinde? Ich bin einfach glücklich, wie wir das Spiel zu Ende gespielt haben. Ein Dank an alle: den Trainern, den Fans, den Mannschaftskameraden. Wir waren eine Einheit und haben deswegen gewonnen." Nun spielt Rostov gegen das taumelnde Dinamo – so wie sich die Hauptstädter präsentieren, steht der "Einheit" auf dem Sprung in die Königsklasse nichts mehr im Wege.

Gerrit Kleiböhmer

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