15.12.2017 08:54 Uhr

Bosman: Der glücklose Fußballrevolutionär

Jean-Marc Bosman hat die Fußballwelt verändert
Jean-Marc Bosman hat die Fußballwelt verändert

Vor 22 Jahren fällte der Europäische Gerichtshof ein Urteil, das den Profifußball grundlegend veränderte. Das Transfersystem, die hohen Ablösen und die explodierenden Spielergehälter der heutigen Zeit sind erst durch das Bosman-Urteil vom 15. Dezember 1995 möglich geworden. Der für diese Fußball-Revolution Verantwortliche profitierte davon nicht.

Im Jahr 2017 kassiert Cristiano Ronaldo weit über 20 Millionen Euro von Real Madrid, sein Erzrivale Lionel Messi vom FC Barcelona streicht ungefähr das selbe Salär ein. Der Zustand des Fußball-Kapitalismus lässt sich besonders gut am Beispiel der beiden aktuell besten und bekanntesten Fußballer unseres Planeten aufzeigen. Ronaldo und Messi, das sind mittlerweile Markennamen, die jedes Kind auf der Welt kennt.

Der Name Jean-Marc Bosman hingegen dürfte im Jahr 2017 gerade bei den Jugendlichen nur noch wenigen ein Begriff sein - dabei ist er eng verknüpft mit dem Schicksal ihrer heutigen Fußball-Heroen und deren astronomischen Gehältern.

Ein Nobody wird zum Fußballrevolutionär

Geboren wird Bosman 1964 in Montegnée, einem Vorort von Lüttich, die Grenze zu Deutschland ist nicht weit. Trotz eher mäßiger Begabung bringt es der Belgier bis zum Fußballprofi, für den Traditionsklub Standard Lüttich bestreitet der zentrale Mittelfeldspieler ab 1983 74 Spiele. 1988 folgt der Wechsel zum Stadtrivalen RFC – zu diesem Zeitpunkt ahnt der damals weithin unbekannte 24-Jährige sicher nicht, dass er nur wenige Jahre später die Hauptfigur einer regelrechten Fußball-Revolution sein würde.

Nachdem sein Vertrag beim RFC Lüttich nach zwei Jahren ausläuft und der heutige Drittligist ihm eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nur zu drastisch reduzierten Bezügen anbietet, möchte Bosman abermals wechseln. Eine Einigung mit dem französischen Zweitligisten KSL Dunkerque besteht bereits, als Bosman erfährt, dass der Wechsel nicht zu Stande kommen wird. Grund dafür ist die hohe Ablösesumme, die der RFC für den Mittelfeldmann erhebt, mit umgerechnet 600.000 Euro übertrifft die Forderung des Vereins den Marktwert des Spielers um ein Vielfaches.

Anders als heute dürfen Profis im Jahr 1990 ihren Verein nach Vertragsende nicht ohne Weiteres verlassen, um sich einen neuen Arbeitsgeber zu suchen. Doch genau das strebt Bosman an. Und so verklagt er seinen Verein sowie den belgischen Fußballverband zunächst auf Schadensersatz. Aufgrund der hohen Ablöseforderungen befürchtet Bosman, keinen neuen Klub zu finden, dazu erachtet er seine Arbeitnehmerfreizügigkeit generell als eingeschränkt. Unterstützt wird er bei seinem Vorhaben von der internationalen Spielergewerkschaft FIFPro. Deren Generalsekretär Theo van Seggelen erinnert sich gegenüber "Spox": "Jean-Marc war in der Tat der Einzige, der den Mut hatte, es zu tun. Ich weiß, dass sie damals versucht haben, ihn umzustimmen und ihm eine Menge Geld geboten haben."

Kein Einknicken

Doch Bosman knickt trotz derlei Angebote und immensen Drucks nicht ein. Im November 1990 entscheidet ein belgisches Gericht zunächst, dass der Fußballprofi ablösefrei nach Dunkerque wechseln darf. Gegen dieses Urteil legt der belgische Fußballverband Berufung ein, doch am Ende der Revisionsverhandlung wird die Entscheidung bestätigt. Gleichzeitig wird der Europäische Gerichtshof angerufen mit der Aufforderung, eine einheitliche und deutliche Regelung zur freien Wahl des Arbeitsplatzes innerhalb der EU zu schaffen.

Bosman unterschreibt nun beim französischen Verein Olympique St. Quentin. Doch will er es bei dieser einen Klage nicht belassen. Als belgischer Profi in Frankreich fühlt sich Bosman von der damals herrschenden Ausländerregelung, nach der nur drei Ausländer gleichzeitig im Team stehen dürfen, benachteiligt. Auch gegen diese Klausel geht er nun gerichtlich vor. Verklagt wird diesmal auch der europäische Fußballverband, neben dem Ausländerthema geht es erneut auch um die Rechtmäßigkeit des Transfersystems an sich.

Bosman-Entscheidung verändert den internationalen Fußball

Zum damaligen Zeitpunkt verharmlosen die Fußballverbände und Vereine diese juristische Auseinandersetzung noch als Lappalie. Als das Thema fünf Jahre später endlich vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt wird, schrillen jedoch bei sämtlichen Verantwortlichen im europäischen Fußball die Alarmglocken – besonders, nachdem es am 15. Dezember 1995 schließlich zu einem Urteil kommt.

In Luxemburg wird entschieden, dass Profi-Fußballer innerhalb der EU als normale Arbeitnehmer im Sinne des EG-Vertrages zu erachten sind und dass daher auch für diese die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt. Ferner verbietet der Gerichtshof sämtliche Forderungen nach Zahlungen einer Ablösesumme für den Wechsel eines Spielers nach Vertragsende innerhalb der EU. Dazu werden die in einigen Ländern herrschenden Ausländerregelungen für ungültig erklärt.

"Ich halte diese Entscheidung für eine mittlere Katastrophe für den Fußball", befürchtet etwa Gerhard Mayer-Vorfelder Schlimmstes. Uli Hoeneß vom FC Bayern sieht "mittelfristig das ganze System kaputt gehen". Mit dieser Haltung stehen die beiden nicht alleine, großer Aufruhr geht durch die Fußballwelt, die so etwas wie den Untergang des Fußball-Abendlandes heraufbeschwört.

Viele profitierten vom Urteil – Bosman nicht

Tatsächlich ist die von Mayer-Vorfelder prognostizierte Katastrophe ausgeblieben. Unbestritten ist jedoch, dass das Urteil vom 15. Dezember 1995 den europäischen Fußball grundlegend verändert hat. "Es hat die Machtverhältnisse verschoben. Weg vom Verein - hin zum Spieler", sagte Christoph Metzelder, ehemaliger Nationalspieler und heutiger Vize-Präsident der deutschen Fußballer-Gewerkschaft kürzlich gegenüber dem "Deutschlandfunk". "Es gibt einfach die Möglichkeit, evtl. einen Teil von dem, was an Transfersumme sonst zwischen den beiden Vereinen hin und her wechselt, als Spieler auch selber zu bekommen."

In der Tat hat das Bosman-Urteil dazu geführt, dass die in den Fußball investierten Summen explodierten und bis heute immer weiter ansteigen. Ihre Rekordgehälter haben Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi somit zu einem großen Teil auch einem als Fußballer mittelmäßigen, als Kämpfer für sein Recht jedoch äußerst mutigen Mann aus Montegnée zu verdanken: Jean-Marc Bosman. Der profitierte von den Veränderungen, die er erzwang, übrigens nicht.

Mit 32 Jahren muss Bosman seine Laufbahn beenden, weil er keinen weiteren Verein findet. Er wittert eine Verschwörung der Klubs gegen sich, verfällt zwischenzeitlich dem Alkohol. Bis heute kann er sich nur dank finanzieller Unterstützung von Bekannten über Wasser halten, das Lebensglück hat ihn, den Fußballrevolutionär, seit Langem verlassen. "Es gab eine Zeit, da zählte ich die Cents, so dreckig ging es mir", erzählte Bosman im "kicker".

Von der heutigen Generation der Fußball-Multimillionäre wünscht er sich zumindest etwas Anerkennung für seine Pionierarbeit. Die Hoffnung aufgeben mag er nicht: "Eines Tages wird man aufzeigen, dass ich etwas wirklich Gutes vollbracht habe."

Julian Bischoff

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