14.08.2015 10:40 Uhr

Rassismus in Russland: "Verrückte Welt"

In Russland an der Tagesordnung: Rechtsextreme Banner im Fanblock
In Russland an der Tagesordnung: Rechtsextreme Banner im Fanblock

Der russische Fußball hat ein veritables Rassismus-Problem. In der Premier Liga häufen sich Vorfälle, bei denen dunkelhäutige Spieler von Zuschauern verunglimpft werden. Der Umgang der Sportfunktionären mit der Thematik ist drei Jahre vor der Heim-WM äußerst zweifelhaft.

Am Freitagabend könnte es wieder so weit sein. Wenn sich im großen Moskau-Derby die Stadtrivalen Spartak und CSKA gegenüberstehen (ab 20:30 Uhr im weltfussball-Liveticker), ist es nicht ausgeschlossen, dass sich auf den Rängen unschöne Szenen abspielen: Affenlaute, Bananenwürfe, zum Hitlergruß gehobene Arme. All das gehört im russischen Fußball schon fast zur Tagesordnung.

Treffen könnte es jeden Akteur, der aufgrund seiner Hautfarbe nicht ins rassistische Weltbild der rechten Unruhestifter passt. Im Derby sind beispielsweise Spartaks von den Kapverdischen Inseln stammender Angreifer Zé Luís oder der Nigerianer Ahmed Musa von CSKA gefährdet, Opfer der Verunglimpfungen zu werden.

Der Fall Frimpong als neuestes Beispiel

Der letzte, der die Anfeindungen der rechtsextremen Zuschauer zu spüren bekam, war Emmanuel Frimpong. Ausgerechnet beim Auswärtsspiel in der Moskauer Otkrytije Arena, in der auch das Hauptstadtduell steigt, beleidigten Spartak-Anhänger Mitte Juli den Mittelfeldspieler von FK Ufa mit Affenrufen und Beschimpfungen. Bis dem Ghanaer der Geduldsfaden riss, er den hochgereckten Mittelfinger in Richtung Fankurve zeigte und dafür vom Platz flog.

Der Vorfall schlug international hohe Wellen. Sogar die FIFA schaltete sich ein und forderte eine Erklärung vom Russischen Fußballverband RFS. Das Ergebnis der Untersuchung: Anzeichen für rechtsradikale Entgleisungen gebe es nicht, Spartak und seine Fans entgingen einer Bestrafung. Frimpong wurde für zwei Spiele gesperrt. "Wir leben in einer verrückten Welt. Dass der Verband keinen Beweis für Rassismus gesehen oder gehört haben will, ist ein Witz", twitterte der 23-Jährige.

Kurzfristige Strafen statt nachhaltige Maßnahmen

Diese jüngste Episode illustriert nur zu gut den zumindest fragwürdigen Umgang des RFS mit dem Rassismus in Russlands Stadien. Zwar bestrafte der Verband in der Vergangenheit durchaus regelmäßig fremdenfeindliche Vorfälle, im Regelfall durch Teilausschlüsse der verursachenden Fangruppen. Wenn einzelne Übeltäter identifiziert werden können, drohen ihnen dank einer entsprechenden Gesetzesverschärfung inzwischen auch empfindliche Geldbußen.

Doch diese Sanktionen werden Kritikern zufolge vom RFS viel zu lasch angewendet. Für nachhaltige Maßnahmen und die organisierte Arbeit an der Wurzel des Übels, dem die Kurven dominierenden Rechtsradikalismus, reicht das anti-rassistische Engagement der Funktionäre zudem nicht aus. Von Verbandsseite initiierte sozialpädagogische Projekte beispielsweise gibt es nicht.

Motto: Kleinreden, Abwiegeln, Vertuschen

Das Motto lautet stattdessen: Kleinreden, Abwiegeln, Vertuschen. Die fast schon reflexartigen Reaktionen der Verantwortlichen bestehen aus Verweisen auf vermeintliche Einzelfälle und den Umstand, dass nicht nur der russische Fußball mit rechten Tendenzen zu kämpfen habe - laut Robert Ustian vom Fan-Netzwerk Football Supporters Europe FSE ein "Paradebeispiel dafür, wie man nicht gegen Rassismus kämpfen sollte".

Die Einzelfalltheorie der offiziellen Stellen ist inzwischen sogar wissenschaftlich widerlegt: Die Moskauer Forschungsstelle SOVA Center registrierte in Zusammenarbeit mit der Anti-Diskrimierungs-Organisation FARE zwischen Mai 2012 und Mai 2014, also im Zeitraum von zwei Saisons, mehr als 200 rassistische oder rechtsradikale Vorfälle im russischen Fußball - darunter sogar einen Mord sowie zahlreiche Übergriffe auf Minderheiten im Umfeld der Stadien.

"No-Go-Areas" für Dunkelhäutige?

Vor allem Letzteres macht Beobachtern wie Ustian im Hinblick auf 2018 Sorgen. "Wir werden die Weltmeisterschaft ausrichten. Die Medien schauen auf uns und werden es nicht zulassen, dass wir etwas unter den Teppich kehren", so das FSE-Mitglied. Ausländische Spieler und Fans könnten mit einem schlechten Gefühl nach Russland reisen. Das friedliche Aufeinandertreffen von Fußballbegeisterten aus unterschiedlichen Nationen, wichtiger Bestandteil vergangener Endrunden, steht auf dem Spiel.

Schon jetzt, so berichtet der englische "Observer", warnt die Evangelische Kirche in Moskau afrikanische Immigranten, an Spieltagen mit bestimmten U-Bahnlinien zu fahren und sich in der Nähe der Stadien aufzuhalten. "No-Go-Areas" für Dunkelhäutige – nicht nur im Rahmen einer WM eine furchtbare Vorstellung.

Mehr dazu:
>> Russland will gegen Rassismus kämpfen
>> Funktionäre verharmlosen Rassismus-Vorfall

Tobias Knoop

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