21.06.2015 15:15 Uhr

Berardi: Zwischen Rüpel und Riesentalent

Hochbegabt, aber oft zu undiszipliniert: Domenico Berardi (r.)
Hochbegabt, aber oft zu undiszipliniert: Domenico Berardi (r.)

Der 20-jährige Domenico Berardi gilt als Italiens größtes Sturmtalent und ist derzeit bei der U21-EM in Tschechien im Einsatz. Ähnlich wie zwei berühmt-berüchtigte Landsleute hat er alle Anlagen für eine große Karriere, könnte aber an seinen disziplinarischen Schwächen scheitern.

Exakt 48 Sekunden dauerte Domenico Bernardis Auftritt beim Ligaspiel gegen Parma Anfang März 2014. Dann übermannte der Frust über die zweite Partie in Folge ohne Startelfeinsatz den in der 71. Minute eingewechselten Youngster von Sassuolo Calcio. Im Duell mit Gegenspieler Cristiano Molinaro keilte Berardi mit dem Ellenbogen aus und sah prompt die Rote Karte.

Die Konsequenz für den Übeltäter: ein Spiel Sperre und der Ausschluss aus dem Kader für das EM-Qualifikationsspiel der italienischen U21 mit Nordirland wenige Tage später. Der Verband begründete diese Maßnahme mit einem "Bruch des Ethikkodexes". Berardi hatte seinem Sündenregister einen weiteren Eintrag hinzugefügt.

Immer wieder "böser Bube"

Denn der der Blitz-Platzverweis aus dem vergangenen Jahr ist nicht das einzige Vergehen Berardis in seiner noch jungen Profikarriere. Im Gegenteil: Karten pflastern seinen Weg. In bislang 61 Auftritten in der Serie A wurde er 23 Mal verwarnt – ein immens hoher Wert für einen Offensivakteur.

Zwar wird diese Statistik durch Berardis Rolle als erster Offensivverteidiger im Pressing Sassuolos und die damit verbundene aggressive Arbeit gegen den Ball relativiert. Doch Vorfälle wie der Ellenbogenschlag gegen Molinaro oder eine ähnliche, ebenfalls mit der sofortigen Hinausstellung geahndete Szene gegen Inters Juan Jesus bei der 0:7-Klatsche am zweiten Spieltag der gerade abgelaufenen Saison werfen ein schlechtes Licht auf den in Kalabrien geborenen Heißsporn, dem neben zu großem Ehrgeiz auch eine gewisse Arroganz nachgesagt wird.

Vergleiche mit den ganz Großen

Trotzdem feiert die italienische Öffentlichkeit das größte Offensivjuwel des Landes. "Ist Berardi besser als Messi?", fragte die "Gazetta dello Sport", nachdem der Newcomer für seine ersten 30 Erstligatore deutlich weniger Spiele brauchte als der vierfache Weltfußballer. Mit insgesamt sieben Treffern bei zwei fast schon legendären Auftritten gegen Milan trug sich Berardi in die Geschichtsbücher des italienischen Fußballs ein.

Sportlich ist der Angreifer ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Für das Mittelklasseteam Sassuolo traf er 2014/2015 15 Mal und war damit torgefährlichster Spieler seiner Altersklasse in den europäischen Top-Ligen. Außerdem legte er zehn Treffer für seine Mitspieler auf. Keinem Akteur in Italiens höchster Spielklasse gelangen mehr Assists.

Neben seiner Abschlussstärke und dem guten Auge für den besser postierten Nebenmann verfügt der flexibel einsetzbare Offensivakteur über große Dynamik und eine ausgeprägte Durchsetzungsfähigkeit. "Er erinnert mich an Arjen Robben", sagt Sassuolo-Jugendtrainer Luciano Carlino, der das Riesentalent vor drei Jahren bei einem Freizeitkick mit Freunden entdeckte und es vom Fleck weg zu einem Probetraining einlud.

Auf den Spuren von Balotelli und Cassano?

Angesichts des schmalen Grats zwischen Genie und Wahnsinn, auf dem der Shooting-Star bisweilen wandelt, werden aber vor allem Erinnerungen wach an die beiden wohl talentiertesten Angreifer der jüngeren italienischen Vergangenheit: Mario Balotelli und Antonio Cassano.

Auch bei ihnen paarten sich sportliche Hochbegabung mit Unberechenbarkeit und Eskapaden. Für die vorausgesagte Weltkarriere reichte es deswegen bei beiden nicht. Balotelli fristet ein Reservistendasein beim FC Liverpool und macht seit längerem in erster Linie als Social-Media-Phänomen von sich reden. Cassano, der einst immerhin für Real Madrid und Milan auflief, ist seit seiner Vertragsauflösung in Parma im Winter vereinslos.

Ob es Berardi ähnlich ergeht wie den beiden Landsleuten oder er mit seiner fußballerischen Qualität dauerhaft überzeugen kann, wird die Zukunft zeigen müssen. Diese wird ihn früher oder später zu Juventus führen, nachdem sich der Serienmeister 2013 für einen Gegenwert von 10 Millionen Euro 50 Prozent der Transferrechte des Jungspunds sicherte.

Hoffnungsträger für die U21

Bevor im Laufe des Sommers die Entscheidung über seine persönliche Zukunft ansteht, soll Berardi allerdings zunächst Italiens U21 zum Europameistertitel in Tschechien schießen. Bei der enttäuschenden 1:2-Auftaktniederlage gegen Schweden erzielte der Goalgetter per Elfmeter immerhin das einzige Tor für die "Azzurrini".

Im zweiten Gruppenspiel am Sonntag gegen Portugal (ab 20:45 Uhr im weltfussball-Liveticker) steht der italienische Nachwuchs nun bereits mit dem Rücken zur Wand. In diesem vorgezogenen Endspiel sind seine Mitspieler dringend auf die sportlichen Qualitäten Berardis angewiesen – und werden zweifellos hoffen, dass dieser sich seine Disziplinlosigkeiten verkneift.

Tobias Knoop

Online-Wettanbieter: bet365 | Interwetten | sportingbet | Tipico Sportwetten