10.09.2015 18:30 Uhr

Argentinien: Ein Spieltag voller Derbys

Die Fans von River Plate geben immer alles - besonders im Superclásico gegen Boca
Die Fans von River Plate geben immer alles - besonders im Superclásico gegen Boca

In einigen Ligen Südamerikas werden Lokalderbys an bestimmten Spieltagen konzentriert. Dabei werden Ticket- und Fernseheinnahmen über sportlichen Wettkampf gestellt. Die Südamerika-Kolumne.

In der südamerikanischen Fußballsprache gibt es eine Redewendung, die die Brisanz eines jeden "Clásico" auf den Punkt bringt: "Derbys spielt man nicht. Man gewinnt sie." Wie überall auf der Welt sind die Duelle mit dem Lokalrivalen das Salz in der Suppe des Spielplans. Fans und Spieler müssen alles geben. Angezogene Handbremse gibt es nicht.

Genau aus diesem Grund hatte der brasilianische Fußballverband sich vor ein paar Jahren überlegt, alle Derbys auf den letzten Spieltag zu legen. So wollte man Wettbewerbsverzerrung durch jene Teams vermeiden, für die das letzte Saisonspiel ohne sportlichen Wert war. In den Jahren zuvor hatte zum Beispiel Gremio im letzten Spiel gegen Titelkandidat Flamengo nicht sonderlich viel Widerstand geleistet, da bei einem Unentschieden der Lokalrivale Internacional Meister geworden wäre. Ähnlich sicherte sich ein Jahr später Fluminense durch Siege gegen den FC São Paulo und Palmeiras die Meisterschaft im Fernduell gegen den Rivalen der beiden, Corinthians.

In Brasilien Derbys am letzten Spieltag

So wurde zwar 2013 am 38. Spieltag der Serie A der Saisonrekord an Platzverweisen gebrochen, aber der Plan ging auf: Wenn es gegen den Erzfeind geht, verschenkt niemand Punkte am Saisonende. Nach zwei Jahren mischten sich allerdings die lokalen Sicherheitsbehörden in den Großstädten ein, dass bei mehreren zeitgleich ausgetragenen Derbys der Polizeiaufwand zu hoch sei. Nach zwei Jahren wurde das Derbymodell wieder abgesetzt.

Ebenso war natürlich zu kritisieren, dass der Eingriff in das Losverfahren des Spielplans bereits eine Wettbewerbsverzerrung mit sich bringe. Bedeutender ist diese Manipulation allerdings in anderen Ligen. So zum Beispiel in Kolumbien, wo seit 2003 an einem zusätzlichen Spieltag alle Derbys ein weiteres Mal ausgetragen werden. In der Liga mit 20 Mannschaften gibt es also in der Halbjahresmeisterschaft nicht 19 sondern 20 Spieltage.

"Bei unserem Ligasystem brauchen wir einen Ausgleich, damit jede Mannschaft eine gleiche Anzahl an Heim- und Auswärtsspielen hat", äußerte vor wenigen Tagen der kolumbianische Verbandspräsident Ramón Jesurún gegenüber Kritikern des Derbyspieltages. Die Stimmen gegen dieses zusätzliche Duell sind in den letzten Jahren immer lauter geworden, allerdings nicht wegen Bedenken am sportlichen Wettkampf, sondern aufgrund der verblassten Derbylandschaft.

Zusätzliches Derbyduell in Kolumbien Tradition

Denn mittlerweile kommt es nur in Bogotá und Medellín regelmäßig zu historischen Duellen. Junior aus Barranquilla zum Beispiel trifft in der ersten Liga seit Jahren fast nie auf den Rivalen und latenten Zweitligisten Unión Magdalena aus der Nachbarstadt Santa Marta.

Und eines der heißesten Lokalduelle des Landes findet nach dem dramatischen Abstieg von América de Cali 2011 zumindest in der 1. Liga nicht mehr statt. Deportivo Cali muss stattdessen einen weiten Weg zum "Ersatzrivalen" Deportivo Pasto antreten oder hat in dieser Saison mit Aufsteiger Cortulúa ein regionales Leichtgewicht als Gegner zugeteilt bekommen.

Erstmals zusätzliche Derbys in Argentinien

Und natürlich ist es nicht nur der Heimspiel-Ausgleich, sondern auch das Bedürfnis nach Ticketeinnahmen und Fernsehgeldern, welche die Proteste gegen den zusätzlichen Derby-Spieltag im Zaum halten.

Am kommenden Wochenende findet aus eben diesen Gründen auch in Argentinien erstmals ein Derby-Spieltag statt. Im Unterschied zu Kolumbien, wo die "Clásicos" in der Saisonmitte ausgetragen werden (und der Meistertitel sowieso erst nach einer Playoff-Runde vergeben wird), hat man in Argentinien den 24. von 30 Spieltagen ausgewählt.

Zu diesem Zeitpunkt ist durchaus eine Vorentscheidung in der Meisterschaft möglich und eine Wettbewerbsverzerrung ist nicht von der Hand zu weisen. Während nämlich der Tabellenzweite Boca Juniors im "Superclásico" gegen Copa-Libertadores-Sieger River Plate antreten muss, trifft Tabellenführer San Lorenzo zum zweiten Mal in dieser Spielzeit auf den Rivalen aus dem Nachbarviertel Parque Patricios, Club Atlético Huracán. Bei aller Brisanz muss man hier feststellen, dass Huracán sportlich seit Jahren nicht auf Augenhöhe mit San Lorenzo ist.

Kein klarer Rivale? Problem!

Als umso kurioser erweist sich dieses System, wenn kein klarer Lokalrivale zugewiesen werden kann. Im Süden von Buenos Aires etwa, wo gefühlt an jedem Bahnhof ein Profiklub beheimatet ist, sind Rivalitäten teilweise über mehrere Teams gestreut. Willkürlich erscheint es also, dass Quilmes am Derbyspieltag auf Temperley trifft und nicht auf Defensa y Justicia, was aus Perspektive der Fans eher ein Hassgegner gewesen wäre. Auch Vélez Sársfield wurde nicht dem direkten Nachbarn Nueva Chicago zugeteilt sondern spielt gegen Tigre, da sonst wiederum dem Klub aus dem Norden der Stadt gar kein Gegner von historischer Bedeutung hätte zugewiesen werden können.

Völlig absurde Züge nimmt die Derby-Ansetzung im Hinterland von Argentinien an, wo Aldosivi aus Mar del Plata nicht auf den geographisch nächsten Ligakonkurrenten Olimpo aus Bahia Blanca trifft, sondern einen farblosen "Neoclásico" (so die argentinische Presse) gegen den über 1400 Kilometer entfernt beheimateten Klub Crucero del Norte austrägt. Definitiver Gewinner ist in Argentinien der Fernsehzuschauer, der sich am Samstag und Sonntag auf jeweils 10 Stunden Derbyfußball im Free-TV freuen kann. Und ob "neoklassisch" oder "klassisch": Clásico spielt man nicht. Man gewinnt sie.

Tipp: Am Sonntagabend ist weltfussball bei der feurigen Partie zwischen River Plate und Boca Juniors ab 23:15 Uhr im Liveticker dabei.

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Für weltfussball berichtet aus Südamerika: Viktor Coco

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